REVITALISIERUNG DER GRAZER BURG

Graz, 2023
3. PLATZ  EU-weit offener, zweistufiger RealisierungswettbewerbGraz, 2023

DER ORT
Der Ort, aufgeladen mit Identität, einem gesellschaftlichen und politischen Gedächtnis, im steten Wandel als physisches Abbild von zahlreichen Zeitschichten, diesem besonderen Ort gilt es in der gestalterischen Dialektik zwischen Bewahren und Verändern zu begegnen.

 

DIE HÖFE
Seine parallelen Nutzungen für Verwaltung, Repräsentation, Veranstaltungen und Ausstellung spiegeln sich in der differenzierten Ausformulierung der drei Höfe in Gestaltung und Atmosphäre.

 

HOF 1 – DER OFFIZIELLE
Bewahrt wird hier der repräsentative Charakter, der eine Nutzungsvielfalt und den „Gebrauchswert“ ermöglicht. Der Hof bildet das Entrée in das historisch der Landesverwaltung vorbehaltene Areal der Burg und soll die zukünftige Öffnung zu einem Raum der Öffentlichkeit, der die politische Geschichte des Landes erzählt, und die bestehende Funktion eines Raumes der hoheitlichen Verwaltung und Repräsentation miteinander vereinen. Seine geplante museale Verwendung stellt neue Anforderungen an den Ort: Er soll sich nach außen mitteilen, Besucher:innen anziehen und mit seiner Qualität zum Verweilen einladen.

Um einen urbanen, nutzungsoffenen Platz zu erhalten, bleibt eine versiegelte Oberfläche des Hofes weitgehend beibehalten, wird aber mit dem narrativen Element des Umrisses des ehemaligen Palas der Friedrichsburg neugestaltet. Zeitgenössisch als homogene Kontur in farblich abgesetztem vergossenem Abbruchmaterial ausgebildet, im materiellen Ausdruck ein selbstbewusster Gegensatz zum Vergangenen und zugleich eine Reminiszenz an die historische Dynamik des Ortes wird er über den Hof hinaus in den Stadtraum gezogen. Der Umriss verlässt somit das Areal der Burg, quert die Straße und stellt interpretatorisch wieder die Verbindung zum Grazer Dom her. Auf dem Gehweg vor der Burg fließt der Umriss wie ein Fluss weiter bis zum Schauspielhaus. Nicht nur das Erinnern, sondern auch das Hineinziehen ist Ziel dieser Intervention. So ist der Passant animiert, der Kontur neugierig bis in den ersten Burghof zu folgen und seine Bedeutung zu ergründen. Die restlichen Oberflächen des Hofes werden wieder mit dem bestehenden Material gestöckelt. In der Pflasterung wird durch unterschiedliche Oberflächentexturen strukturell zwischen dem „Innen“ und „Außen“ der Friedrichsburg differenziert. Auch sie ziehen sich bis auf den Gehweg vor der Burg und verstärken die Klammer zu Dom und Schauspielhaus. Das Ziel der bewusst nachhaltigen Gestaltung ist es, das vorgefundene Oberflächenmaterial so weit als möglich im Kreislauf zu belassen.

Die verlorene Prunktreppe tritt aus der Kontur des Palas im Straßenraum als räumliches, zeichenhaftes Element, in Größe und Gestalt vom Vorbild abgeleitet, materiell jedoch ahistorisch aus recyceltem Abbruchmaterial der Burg ausgebildet, hervor. Die abstrahierte Treppe spiegelt somit die materielle Geschichte der Burg wider. Zeitgenössisch künstlerisch als „Landmark“ gestaltet, erinnert sie an die ehemalige Geschlossenheit des Burghofs, kommuniziert die neue zusätzliche Nutzung und leitet die Besucher:innen vom Straßenraum in das Areal. Das Zitieren der, folgt man der Geschichtsschreibung, einstmals schönsten Prunktreppe Europas, wird nicht nur räumlich wahrnehmbar, sondern hat auch eine expressive Kraft. Als einprägsames Zeichen mit Wiedererkennungswert könnte sie für ein Branding zum Logo der Burg werden.

An der Innenseite der „Prunktreppe“ liegt als erste räumliche Schicht der Bereich unter den zwei bestehenden schattenspendenden Bauminseln. Er wird aufgewertet, niveaugleich zum Hof gestöckelt und mit körperhaft aus der Kontur des Palas heraustretenden Sitzflächen aus demselben gegossenen Abbruchmaterial ausgestattet. Auch tiefer im Hof verwandelt sich die Palas-Kontur zu verstreuten Sitzgelegenheiten und punktuell im Belag integrierten Wasserspeiern, die den Platz bei Bedarf kühlen und ihm eine weniger strenge Atmosphäre verleihen/ihm die Strenge nehmen, zugleich aber in seine Nutzung als Repräsentationsraum integrierbar sind. Die Eingangssituation zur Renaissancehalle wird durch die große, als Vordach aus brüniertem Stahl bzw. Stahlblech ausgebildete „Pinnadel“ als Entrée in den Ausstellungsbereich gekennzeichnet. Durch die Verglasung der Tür und die Öffnung der Fassade unter dem Parapetbereich des Fensters wird ein Einblick in die Ausstellung an einer Stelle möglich, die laut historischen Fotos im 19. Jahrhundert geöffnet war. Der im Boden materiell gekennzeichnete Entdeckungspfad leitet als roter „Ariadnefaden“ zu den sehenswerten Teilen der Burg und den Ausstellungsbereichen. Er wird begleitet von kleineren „Pinnadeln“, die Informationen zu den verschiedenen Orten beispielsweise mit einem unkomplizierten QR Code bereitstellen. Als zukünftiges Szenario wäre vorstellbar, dass die Kantine in den Wirtschaftstrakt im dritten Hof verlegt und die wertvolle Bausubstanz der Erdgeschossräume im Karlstrakt anderweitig genutzt wird. Der Freiraum des dritten Hofes würde sich als Sitzgarten der Kantine und für eine Anlieferung vom Freiheitsplatz eignen.

 

HOF 2 – DER REGENERATIVE

Der entsiegelte und begrünte zweite Hof stellt das Pendant zum befestigten ersten Hof dar. Die aktuellen Grenzen und Schwellen, die dieser Hof vor allem zum Schauspielhaus zeigt, sollen beseitigt werden, mit dem Ziel ein städtisches Ensemble, in dem auch das Schauspielhaus seine angemessene Bedeutung bekommt, zu generieren. Im zweiten Burghof sind die unterschiedlichen historischen Fassaden von Registraturtrakt, Friedrichstrakt, Neuer Burg und Schauspielhaus stark wahrnehmbar. Auch die Fassade des Bürotraktes des Schauspielhauses bekommt durch die Neuorganisation des Raumkörpers und durch das Aufheben des „Vorne“ und „Hinten“ ihre angemessene Stellung.

Umschlossen von diesen materialisierten Zeitschichten des Landes entsteht in der neuen gemeinsamen Mitte ein „poetischer Hof“. Er wird durch eine „terrassierte Landschaft“ erzeugt, die sich auf mehreren Niveaus vom Registraturtrakt aus nach unten abtreppt und die Baukörper gleichzeitig zur Geltung bringt und verbindet. Unterleuchtete Sitzstufen rahmen die einzelnen Ebenen mit ihren unterschiedlichen Aufenthaltsqualitäten. Sichtbeziehungen zum Dom und zum Schlossberg verorten den öffentlichen Garten in der Stadtlandschaft. Es wird ein nachhaltiger Grünraum geschaffen, in dem Besucher:innen wie Landesbedienstete Ruhe und Erholung finden. Die freie Grünfläche vor den Arkaden des Registraturtrakts mit bekiesten Wegen und dem bestehenden Baumbestand und Fassadenbewuchs wird für Veranstaltungen genutzt und unterstreicht die Durchlässigkeit des Traktes zum dritten Hof. In Richtung der Hofgasse, topografisch abfallend, wird die Vegetation und die Möblierung vielfältiger und dichter und der Hof verliert an gestalterischer Disziplin. An der untersten Ebene, durch den Niveauunterschied halb in der Erde verborgen und von einer grünen Pergola überwachsen, liegt die überdachte, zum Schauspielhaus offene Fahrradgarage mit unterirdischen Technikräumen. Vom Schatten der Sitzbänke unter der Pergola aus bietet dieser Ort einen wunderbaren, von der Schönheit dieser Fassade geprägten Blick auf den Registraturtrakt.

Für Besucher:innen und Mitarbeiter:innen bildet der Hof einen Ort zum Innehalten, zum Durchatmen, zum Beobachten und Staunen und sei es über den Flügelschlag eines Schmetterlings. Abends, wenn das Schauspielhaus im Westen ausreichend Schatten spendet, wird der Hof zur Bühne für Schauspiel, Lesungen, Musik und vieles mehr. Ein Kulturgarten entsteht vor den historischen Fassaden einsichtig vom Straßenraum in Bürgergasse und Hofgasse.

 

HOF 3 – DER WILDE
Sind die Konturen im zweiten Hof durch die Terrassierung der Grünflächen exakt gefasst, so sind sie im dritten Hof verschwommen, undiszipliniert und wild. Die Topografie erlaubt es, ohne Schwellen und Grenzen in der Fläche zu bleiben. Das Gras blitzt zwischen den Pflastersteinen frech hervor. An den Rändern zerfranste Wege führen sternförmig auf die buchstäbliche Mitte der Stadt. Der Kern kehrt wieder in seine angestammte Heimat zurück und wird umgeben von einem dichten Baumbestand zum neuen Instagram-Point in einer stimmungsvollen Wildnis. Vergessene Kultursorten finden hier insbesondere ihren Platz.

Die grazile Stadtmöblierung ist lose und erlaubt eine Aneignung des Grünraumes. Sessel und Bänke können nach Bedarf arrangiert werden. Vom Burggarten kommend leitet dieser Hof angenehm über zu den Sehenswürdigkeiten der Grazer Burg. Die temporären Parkplätze befinden sich gleich an der Einfahrt vom Freiheitsplatz. Sie sind nur an der Änderung der Farbe der Pflastersteine zu erkennen, „shared space“ sozusagen. Abends wenn der Wirtschaftshof still wird, bietet der „Parkplatz“ Raum für kleinere Veranstaltungen und ein reges kulturelles, vielleicht auch informelles Treiben. Eine Verbindung zum angrenzenden Seminar- und Veranstaltungsbereich wie zum zweiten Hof ist für diesen Hof ebenso denkbar, um während eines Seminars frische Luft schnappen oder den Kaffee im Freien auf einer angenehmen Parkbank sitzend trinken zu können.

 

RÄUMLICHES DENKMALPFLEGERISCHRES KONZEPT
Der reflektierte Umgang mit den beständigen Denkmalwerten Alois Riegels bestimmt das architektonische und denkmalpflegerische Konzept. Die behutsame Veränderung von Vorgefundenem, die Nutzung von Material mit unterschiedlichen Erzählebenen, mit dem Ziel, etwas Neues zu generieren oder seiner Geschichte eine weitere Erzählebene hinzuzufügen, charakterisiert den entwerferischen, baukünstlerischen Umgang mit dem Baudenkmal Grazer Burg. Es gibt keinen baulichen Bestand ohne Narrativ. Diesen Erzählungen durch Architektur über das Warum und Woher, abseits vom reinen Faktenwissen, kommt in der Gestaltung große Bedeutung zu. Zu Räumen, die unsere Sinne ansprechen, stellt sich sofort eine Verbindung her und Raum vermittelt Geschichte über Generationen. Somit sind die Räume selbst ein Exponat und erzählen zusammen mit den Ausstellungsobjekten – vornehmlich Relikten aus früheren Baustufen der Burg – eine Geschichte.

 

DIE EINBAUTEN AUS HOLZ
Alle geplanten Einbauten sind substanzschonend und reversibel konzipiert. Als begehbare Möbel stehen sie eigenständig und gliedernd im Raum, gehen mit dem Bestand keine physische Verbindung ein und sind so proportioniert, dass sie den überkommenen Raum nicht dominieren. Ihre Form ist weich und gerundet mit dem Ziel einen Fluss in Bewegung und Erschließung zu schaffen. Außerdem stellen sich die Einbauten durch die Rundung dem Raum nicht entgegen, sondern erlauben einen kontinuierlichen Fluss und eine Rezeption der Raumhülle. Ihre Form kehrt wieder, sie dienen jedoch unterschiedlichen Nutzungen: In der Renaissancehalle finden sich der Empfang und der Büchershop, im Registraturtrakt Besuchertoiletten und Küche bzw. Theke für das Buffet. Die Einbauten werden begleitet von Sitzmöbeln, die formal ebenfalls gerundet ausgebildet sind: In der Positionierung sind sie flexibel, es können unterschiedliche Raumkonstellationen erzeugt werden. Ein Großteil der Einbauten verfügt zusätzlich über eine technische Infrastruktur insbesondere Screens zur Informationsübermittlung. Das Material der Einbauten ist Eichenholz. Die Wahl fiel nicht nur aus ökologischer Sicht auf Holz, es repräsentiert auch die Steiermark als waldreichstes Bundesland Österreichs. Zusätzlich leisten die Holzeinbauten einen Beitrag für eine angenehme Raumakustik und schaffen eine behagliche Atmosphäre.

 

DER BODEN ALS EIGENSTÄNDIGES RÄUMLICHES ELEMENT
Geschliffener Estrich mit Weißzement und Kies aus Aflenzerstein, dient als Oberfläche für die neu zu errichtenden Böden. Aflenzerstein diente auch als Baumaterial der Prunktreppe. Der Qualität von Terrazzo folgend, aber in Körnung und Oberfläche weniger den Raum bestimmend, bildet er die ruhige integrative Grundlage für Bewegung und Begegnung. Monolithisch und mit einer deutlichen Fuge zum Baudenkmal wird er zu einem räumlichen architektonischen Element der Gestaltung, das additiv und eigenständig ist. Besonders in der Einsäulen- und in der Dreisäulenhalle ist der Boden durch seine skulpturale Ausformulierung mit unterschiedlichen Niveaus und verbindenden Rampenebenen als räumlicher Körper zu sehen. Es entsteht eine bauplastische Landschaft, die zwischen Eingang, Kapelle und Säulenhalle vermittelt, mit dem selbstverständlichen Anspruch der Barrierefreiheit.

 

DER BURGPFAD

Entdecken, Staunen, Ergriffen sein von der Grazer Burg. Ein Pfad muss erst geschaffen werden: Subtil und unaufdringlich zieht sich ein roter Faden über das Gelände der Grazer Burg und verbindet die Teile ihrer materialisierten Erzählung als Ort der verdichteten Geschichte des Landes und seiner Repräsentation. Der Faden entsteht durch ein zwischen die Pflastersteine eingelegtes Band aus brüniertem Stahl, das als feine farbige Linie, die sich unaufgeregt in die Oberflächengestaltung einfügt, die Besucher:innen zu den historischen Räumen und Exponaten führt. Symbolisch werden die Stationen des Pfades mit einer „Pinnadel“ versehen, die einmal so dimensioniert ist, dass sie Witterungsschutz sein kann, aber auch dem räumlichen Maßstab folgend als Aufmerksamkeits-Pin einen Eingang kennzeichnet. Immer gleichbleibend bietet die Nadel Informationen an. So begibt man sich auf die Reise und lernt wie einer mit Pinnnadeln markierten Landkarte folgend, die unterschiedlichen „Destinationen“ der Grazer Burg kennen.

 

GESTALTERISCHES KONZEPT BURGGARTEN
An der Ostseite der Einsäulen- und Dreisäulenhalle sowie der Burgkapelle soll die mittelalterliche Stadtmauer am Friedrichstrakt freigelegt und der Burggarten auf das ursprüngliche Niveau vor der Renaissancebefestigung abgesenkt werden. Diese Maßnahme macht die Stadtmauer für die Besucher:innen des Burggartens erlebbar, gibt den gotischen Räumen ihre natürliche Belichtung zurück und entschärft zugleich das Feuchtigkeitsproblem an der mittelalterlichen Stadtmauer.

 

LICHTKONZEPT AUSSENRAUM
Licht wird als wichtiges Gestaltungselement zur Schaffung von Atmosphären eingesetzt. Wichtig ist die Abhebung gegen das umgebende Dunkel und die Erfahrung des Eingebettetseins im Lichtraum. Diese Erfahrung ist zugleich eine gestimmte, sei es die der Geborgenheit und Heimeligkeit, auf jeden Fall spielt dabei die zwingende Beziehung zum umgebenden Dunkel eine Rolle. Differenzierte Lichträume werden geschaffen. Im ersten Hof dominiert das „offizielle Licht“. Einfache schlanke Säulen besetzt mit Leuchtkörpern, die einerseits über die Beleuchtung und Reflexion der Fassaden indirektes Licht erzeugen und andererseits über direktes Licht den Hof für Veranstaltungen einen ausreichenden Lichtkörper bieten. Verschiedene Lichtstimmungen können erzeugt werden, so kann beispielsweise auf den direkten, aber auch auf den indirekten, über die Fassade kommenden Lichtanteil verzichtet werden. Der regenerative Hof erhält seine Beleuchtung fast ausschließlich über indirektes Licht. Die Sitzstufen der terrassierten Landschaft haben zur angrenzenden Grünfläche eine Schattenfuge und werden unterleuchtet. Licht tritt aus der Fuge aus und beleuchtet sanft den Garten. Atmosphärisches Licht wird durch das Setzen von wohlproportionierten kurzstieligen Laternen, gruppiert im Grünkörper, erzeugt, die wie leuchtende Blüten anmuten. Die Gewölbe der Arkaden werden ebenfalls indirekt beleuchtet und schaffen eine angenehme Stimmung. Der dritte Hof erhält ein ähnliches Konzept, nur die Parkplätze werden mit „Laternen“ wie im Burghof 1, beleuchtet. Die Gartenfläche erhält atmosphärisches Licht.

 

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